Das Herzzerrei
ßende der Dinge (Auszug, Ende)

»Ich habe Angst vor dem Ende. Vielleicht ist mein Verhältnis zur Welt immer schon parasitär gewesen, ›gefrorene Stücke‹, ›die kalten Stücke‹, Satie, laß es wie ein Satiestück enden, sage ich zu mir selbst, heiter, losgelöst vom eigenen Schmerz, wenngleich nicht ohne Wehmut : ›gefrorene Stücke‹, ›die kalten Stücke‹, Satie, oder die Ahnungen des Kopfes unter Wasser, was mir gleicherweise Angst und Mut macht .. ich habe Angst vor dem Ende, wie ist es, wenn sich wie jetzt das Ende abzeichnet? - nach all den Unsicherheiten und Unorientiertheiten des Anfangs habe ich jetzt das Bedürfnis, das Ende hinauszuzögern : einerseits, weil von einem bestimmten Punkt an gewiß ist, daß und wie es kommt, andererseits, weil es wie ein Auskosten ist, daß dieses eine Mal noch gut gegangen ist - aber es kommt auf die Spannweite an! [...]

Alles ist in Aufbruch und Aufruhr : ich meine in solchen Zeiten hat die Mikrostruktur ihr Recht, ihren Sinn verloren. Ich breche schon auf, ich reiße schon aus, ich laufe schon über, ich mache mich schon bereit abzuspringen, oder wie sonst die Umschreibungen alle heißen mögen ich weiß nicht, die Lage ist außerordentlich. Ich bin so wach, ich bin so überwach, es hüpft mich über die Erde, ich bin in Verwandlung begriffen, ich habe mich umgestülpt, mit Ärmeln und Armen und Flügeln : ein neuer Mensch, darüber soll sich keiner wundern. Aber wichtig ist nur, glücklich zu sein und Leben im Überfluß zu erschaffen, also nicht allein für sich selbst sondern für jeden beliebigen der gerade vorüberflitzt. [...]«

Aus: Friederike Mayröcker: Das Herzzerreißende der Dinge, 1985. © Suhrkamp Verlag Frankfurt/M.