»Der Kranke ist der Hellsichtige, keinem anderen ist das Weltbild klarer. Wenn er die Hölle, so hatte er fortan das Krankenhaus bezeichnet, verlassen habe seien die Schwierigkeiten, die es ihm in letzter Zeit unmöglich gemacht hätten zu arbeiten, beseitigt. Der Künstler, insbesondere der Schriftsteller, hatte ich von ihm gehört, sei geradezu verpflichtet, von Zeit zu Zeit ein Krankenhaus aufzusuchen, [...]. Es sei das eine unbedingte Voraussetzung. Der Künstler, insbesondere der Schriftsteller, der nicht von Zeit zu Zeit ein Krankenhaus aufsuche, also einen solchen lebensentscheidenden existenznotwendigen Denkbezirk aufsuche, verliere sich mit der Zeit in die Wertlosigkeit, weil er sich in der Oberflächlichkeit verheddere. […]

In diesem Denkbezirk erreichen wir, was wir außerhalb niemals erreichen können, das Selbstwußtsein und das Bewußtsein alles dessen, das ist. Es könne sein, so mein Großvater, daß er seine Krankheit erfunden habe, um in den Denkberzirk des Bewußtseins hineinzukommen. Möglicherweise hätte auch ich zu demselben Zweck meine Krankheit erfunden. Es spiele aber keine Rolle, ob es sich um eine erfundene oder um eine tatsächliche Krankheit handle, wenn sie nur dieselbe Wirkung hervorriefe.«


   

Thomas Bernhard: Der Atem. Eine Entscheidung. Salzburg, Wien: Residenz Verlag 1978.